Evrim Camuz: Rede zur Zentralstelle zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet (Aktuelle Stunde AfD)

© Plenar TV

TOP 20a – Aktuelle Stunde AfD zur Zentralstelle zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet

- Es gilt das gesprochene Wort - 

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren,

laut der Studie „Hass in der Stadt“ des Landeskriminalamts Niedersachsen gab es von 2012 bis 2022 in Niedersachsen 7837 Fälle von Hasskriminalität, vor allem mit fremdenfeindlichem, antisemitischem, ausländerfeindlichem oder rassistischem Hintergrund. Besonders hoch war der Anteil der Adressat*innen unter jüdischen Menschen (58,8 Prozent) und Menschen mit queerer Geschlechtsidentität (59,3 Prozent).

Anrede,

das Problem ist also riesig, und deshalb müssen Straftaten im Zusammenhang mit digitalem Hass konsequent verfolgt und die Täter*innen bestraft werden. Damit das gelingt, hat unsere Landesregierung die Schwerpunktstaatsanwaltschaft zur Bekämpfung von Hass und Hetze im Internet bei der Staatsanwaltschaft Göttingen eingerichtet und bereits personell massiv verstärkt. Durch das eigene Meldeportal unter www.hassanzeigen.de wurde die Hemmschwelle für Betroffene gesenkt, sich gegen Anfeindungen, Rassismus und Antisemitismus zur Wehr zu setzen.

Zwischen Juli 2023 und Juni 2024 gingen 3.532 Anzeigen ein. Zwei Jahre zuvor lag die Zahl im gleichen Zeitraum noch bei 1.136. Von Juli bis Mitte Dezember 2024 sind noch einmal mehr als 2.500 Anzeigen eingegangen. Rund 80 Prozent der angezeigten Hasskommentare haben laut Zentralstelle ZHIN einen politischen Hintergrund.

Anrede,

die Ursachen für Hasskriminalität sind vielfältig und die Täter ebenfalls. Dass gerade die AfD sich nun aber für die Abschaffung der Zentralstelle einsetzt, hat einen aktuellen Hintergrund und hat sicher auch mit einem bestimmten Täter*innenkreis zu tun. Die AfD folgt mit ihrem Aufruf im Titel dieser Aktuellen Stunde der Kritik von J.D. Vance, dem Vizepräsidenten der USA. Er hat vor wenigen Tagen anlässlich eines Berichts über die Göttinger Staatsanwaltschaft deren Arbeit und Vorgehen kritisiert und daraus eine Belastung für die europäisch-amerikanischen Beziehungen abgeleitet. Die AfD folgt dem willfährig, weil es ihr offenbar gerade gut ins Konzept passt. Dabei ist doch bekannt, dass sich das deutsche und das US-amerikanische Verständnis von Meinungsfreiheit wie auch unsere Verfassungs- und Rechtssysteme deutlich unterscheiden. Das deutsche Konzept folgt eher dem Ansatz: Die Freiheit des Einen endet, wo deren Ausübung die Freiheit des Anderen eingeschränkt. Nach amerikanischem Ansatz ist die Meinungsfreiheit unbegrenzt. Schon deshalb verbietet sich diese Kritik inhaltlich. Aber auch der Grundsatz, ein Staat habe sich nicht in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates einzumischen, gilt selbstverständlich. Wir Niedersachsen dulden in dieser Sache keine amerikanische Einmischung.

In der Sache möchte ich darauf hinweisen, dass gerade die Haftungsfreistellung der US-Internetkonzerne durch die US-Regierung zu Beginn des Internetzeitalters das Debakel der weltweiten Hassrede und Desinformation verursacht hat. Die damalige Regierung wollte die gerade erblühende Interneteuphorie und Internetindustrie nicht ausbremsen. Das Ergebnis ist aber, dass im Internet komplett andere Regeln gelten als in unserem analogen Leben; Regeln, denen sich alle Nutzer*innen von Meta, Google und künftig auch der KI-Konzerne weitgehend unterwerfen müssen. Wir können nur hoffen, dass die EU Kraft genug findet, sich dem weiterhin standhaft durch steuerrechtliche, haftungsrechtliche und kartellrechtliche Maßnahmen, die zumindest in Europa gelten, entgegenzustellen. Ich plädiere dafür, dass das Internet im Sinne des von Jamie Susskind in seinem Buch „Digital Republic“ vertretenen Ansatzes wieder eine Sache des Volkes (res publica) wird, dass Bürger*innen und die demokratischen Vertretungen das Sagen haben und nicht die einzig auf Gewinn ausgerichteten Konzerne. Jede andere Industrie muss sich auch den Regeln des Strafrechts, des Umweltrechts, des Wettbewerbsrecht und so weiter unterwerfen. Nur die Internetkonzerne müssen das weitgehend nicht.

Anrede,

dass die AfD sich der US-Kritik an unserer Zentralstelle anschließt, hat aus meiner Ansicht nach nur den einen Grund: Rechtsextremismus will unser Gesellschafts- und Politiksystem beseitigen und zu diesem Zweck Zwietracht und Hass säen. Und die Zentralstelle, die sich dem entgegenstellt, muss – dieser Logik folgend – zerstört werden. Das darf unsere Demokratie nicht mitmachen.

Im Gegenteil: Wir müssen noch mehr tun. Christian Burger befasst sich in seinem Buch „Sch(m)utz im Netz“ mit der Frage sogenannter digitaler Masken. Er schlägt digitale Pseudonyme vor, die nach dem Prinzip der KfZ-Kennzeichen funktionieren. Für die Teilnahme an Sozialen Medien oder Diskursen im Netz ist demnach die Hinterlegung der zur Identifizierung erforderlichen persönlichen Daten erforderlich. Öffentlich im Netz darf man zwar ein Pseudonym nutzen, aber es wird mit den hinterlegten persönlichen Daten im Hintergrund verknüpft wie ein KfZ-Kennzeichen. Zwischen den Alternativen der Klarnamenpflicht und der kompletten Anonymität ermöglicht dieser Mittelweg laut einer Studie sowohl die effektive Strafverfolgung als auch die qualitativ besten Diskussionen; weil man offen reden kann, ohne im analogen Leben angegriffen werden zu können, aber dennoch bei Vergehen über die hinterlegten Daten strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden kann.

Vielen Dank!

Zurück zum Pressearchiv