Evrim Camuz: Rede zur Bekämpfung häuslicher Gewalt (Antrag SPD/GRÜNE)

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TOP 11 – Antrag (SPD/GRÜNE) – Mit mehr Entschiedenheit: häusliche Gewalt bekämpfen

- Es gilt das gesprochene Wort

Regelmäßig beginnen wir die Plenarsitzung mit einer Schweigeminute für all jene, die diesem Haus angehörten. So auch heute.

Würden wir am Ende eines Jahres eine Schweigeminute für jede in Deutschland von ihrem Ex-(Partner) ermordete Frau halten, schwiegen wir über sechs Stunden.

Gedächten wir aller Frauen und Mädchen, die ein Tötungsdelikt überlebt haben, wären es weitere 9,5 Stunden.

Und würden wir für jede frauenverachtende Tat, jede erlittene Körperverletzung, Beleidigung, ob in der Schule oder auf der Arbeit, Herabwürdigung in der Partnerschaft, sexuelle Nötigung auf Partys und Belästigung auf der Straße den Mund halten, könnten wir das Reden langfristig einstellen.

Aber: Schweigen ist keine Option. So ähnlich beginnt Christina Clemm, Rechtsanwältin und Autorin, ihr Buch „Gegen Frauenhass“.

Heute wollen wir das Schweigen brechen. Mit unserem Entschließungsantrag möchten wir zum einen allen gewaltbetroffenen Frauen in Niedersachsen mit Hilfe einer geschützten App dabei unterstützen, frühzeitig die ersten Anzeichen einer gefährlichen Beziehung zu erkennen, Beweise zu sichern und Hilfsangebote zu finden.

Auch wenn in den Medien immer wieder fälschlicherweise die Rede von „Beziehungsdramen“ ist, wissen wir, dass Täter nicht aus Affekt heraus töten. Wir wissen, dass Femizide planvoll erfolgen und wir wissen, dass jeder einzelne Femizid als radikalste Form von geschlechtsspezifischer Gewalt eine Vorgeschichte hat.

Wir wissen, dass Täter ihre Partnerin zunächst von ihren engsten Freund*innen und nahestehenden Familienangehörigen isolieren, ihr Taschengeld auszahlen und sie so finanziell kontrollieren, letztendlich die Partnerin von sich abhängig machen.

Erst sind es vielleicht harmlose Beleidigungen, dann Demütigungen und Erniedrigungen und plötzlich der Gewaltausbruch, die Hand, die zum ersten Mal ausrutscht.

Gefolgt von Blumen als Wiedergutmachung, Reue, und das Versprechen, dass man sich bessern möchte – um kurz danach festzustellen, dass sich nichts geändert hat.

Geschlechtsspezifische Gewalt hat System.

Und wenn sich dann eine Frau dazu entscheidet, aus genau einem solchen System herauszubrechen, die Beziehung also zu verlassen, der Täter allerdings keine neue Beziehung, also kein neues Opfer gefunden hat und einen Kontrollverlust erleidet, endet es im schlimmsten Fall mit einem Femizid.

Mit der Verteilung der geschützten App wollen wir genau diese Gewaltspirale frühzeitig durchbrechen und Frauen den Ausweg aus einer gewaltvollen Beziehung erleichtern.

Denn: Man(n) tötet nicht aus Liebe. Niemals!

Und wir gehen weiter.

Wir wollen nach dem Vorbild des spanischen Modells die Möglichkeit der Anordnung einer Fußfessel für Täter, um Frauen weiter zu schützen.

Nicht selten erleben wir, dass Täter, trotz eines Annäherungsverbots, dieses ignorieren und die Frau aufsuchen. Damit ist bald Schluss. Das bedeutet: Sobald sich ein Täter dem Opfer, trotz eines Annäherungsverbots, nähert, wird ein Alarm bei der Polizei sowie beim Opfer ausgelöst und die Frau gewarnt.

„Wer schlägt, der geht“ und wir in Niedersachsen, sehr geehrte Abgeordnete, werden dieses Versprechen zu 100% durchsetzen.

Ich spreche oft von Opfern, weil das im Strafrecht so üblich ist. Aber, mir ist es ein besonderes Anliegen zu betonen: Diese Frauen, die tagtäglich durch ihre pure Existenz dem Patriachat die Stirn bieten, sind keine Opfer. Sie müssen sich nicht dafür schämen, was ihnen angetan wurde.

Die Scham muss die Seite wechseln.

Es sind vielmehr Kämpferinnen und Überlebende. Es sind Frauen, wie Vanessa Münstermann, die von ihrem Ex-Partner mit Säure übergossen wurde und heute hier im Niedersächsischen Landtag Gesicht zeigt. Ihr ist dieser Antrag gewidmet.

Ich bewundere ihre Stärke und den Lebensmut jeder dieser Frauen. Mit der Einführung der psychosozialen Prozessbegleitung im Gewaltschutzverfahren in diesem Jahr, der Verteilung der geschützten App sowie der baldigen Einführung der Fußfessel möchten wir Grüne gewaltbetroffenen Frauen mehr Werkzeuge in die Hand geben und häuslicher Gewalt entschieden den Kampf ansagen.

Und natürlich ist das nicht genug, daher, sehr geehrte Abgeordnete, seid gewiss – es wird mehr folgen müssen.

Diesen Weg bis hier her bin ich nicht alleine gegangen. Mir war es stets ein großes Anliegen, die CDU mit ins Boot zu holen. Und obgleich Sie aus parteitaktischen Gründen abstimmen, weiß ich, dass kein Innenminister dieser Welt an den starken Frauen der CDU wie Frau Birgit Butter oder Carina Hermann vorbeikommt und es ansatzweise wagen würde, die Fußfessel in Zweifel zu ziehen. Das ist ein gutes Gefühl.

An dieser Stelle möchte ich mich besonders für die kollegiale Zusammenarbeit mit Frau Doris Schröder-Köpf bedanken, die den Antrag an entscheidenden Stellen geschärft hat, und auch bei Innenministerin Daniela Behrens und Justizministerin Dr. Kathrin Wahlmann.

Das ist unser Moment. Wir Frauen wissen, was wir geleistet haben, und wer die treibende Kraft dieses Antrags ist.

In diesem Sinne: Ni una menos. Nicht eine weniger!

 

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