Evrim Camuz: Rede zum Versammlungsgesetz (Gesetzentwurf AfD)
TOP 5: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes (GE AfD)
- Es gilt das gesprochene Wort -
Anrede,
die AFD fordert, dass Versammlungen vor Privathäusern von Abgeordneten und Amtsträger*innen verboten werden. Ich muss gestehen, ich habe mich doch ein wenig gewundert, als ich den Gesetzesentwurf zum ersten Mal las.
Erst vor kurzem durfte ich zu einem anderen Gesetzesentwurf der AFD zum Versammlungsgesetz sprechen. Dort wollte sie das Demonstrationsrecht von allen in Niedersachsen lebenden Ausländern entziehen.
Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen, ich weiß nicht wie es Ihnen geht, aber ich werde den Eindruck nicht los, dass die Grundrechte, die Freiheit jedes Einzelnen sich frei zu entfalten, sich frei zu entscheiden in welchem Körper ich mich wohlfühle (dazu gibt es nämlich einen weiteren Antrag auf der Tagesordnung) oder wie hier sich frei zu entscheiden wo ich demonstriere - all diese Grundrechte scheinen der AFD ein Dorn im Auge zu sein.
Aber unsere Verfassungsväter und -mütter haben doch nicht uns Bürger*innen, uns Deutschen, Rechte in die Hand gegeben, mit der wir uns gegen Übergriffe durch den Staat zur Wehr setzen können, damit sie sie nun aushöhlen. Nein.
Vor dem Hintergrund des 75-jährigen Bestehens unserer Verfassung sind wir gewillt, mehr als jemals zuvor, unsere Grundrechte vor ihren Verächtern zu verteidigen, so auch hier sehr verehrte Abgeordnete.
Unsere aktive Protestkultur sollte nicht als Störfaktor begriffen werden, den es zu bekämpfen gilt. Vielmehr nimmt, wer gem. Art. 8 I GG „friedlich und ohne Waffen“ auf die Straße geht, um politisch zu protestieren, nicht nur Grundrechte aus unserer Verfassung wahr, vielmehr nimmt diejenige aktiv an unserer liberalen Demokratie, teil.
Aktive Protestkultur ist gelebte Verfassungskultur.
Und gleichzeitig erleben wir zunehmend wie Menschen unter dem Deckmantel einer vermeintlichen Versammlung, versuchen Politiker*innen einzuschüchtern. Nicht indem sie besonders laut vor dem Landtag, einem Ministerium, oder dem Rathaus demonstrieren. Nein, weil sie vor dem Privathaus stehen. Weil sie die Grenze zwischen Privatem und Politik überschreiten und damit sagen: ich weiß wo du wohnst.
Solche Ansammlungen, die allein darauf ausgerichtet sind, Politiker*innen, ihre Familien und die Nachbarn einzuschüchtern, verurteilen wir aufs schärfste. Und genau aus diesem Grund muss ich sagen, dieser Antrag ist reine Heuchelei, denn es ist die von der AFD geförderte Protestkultur, die solche Ansammlungen anfeuert.
Als Berufspolitiker*innen können wir einiges ab, aber wenn es unsere ehrenamtlichen Kommnualpolitiker*innen trifft dann ist das noch mal eine ganz andere Nummer.
Stellen Sie sich vor: Sie sind Kommunalpolitiker*in und verbringen nichtsahnend einen Abend wie jeden anderen mit Ihrer Familie. Sie gehen zu Bett. Um 2 Uhr nachts werden Sie dann aus dem Nichts aus dem Schlaf gerissen, weil es im Akkord an Ihrer Tür klingelt. Sie hören mehrere Stimmen, die laut vor Ihrem Haus grölen, ständig an die Tür klopfen und Bedrohungen skandieren. Nachdem die Gruppe einmal von der Polizei verscheucht wird, beruhigen Sie sich und Ihre Familie. Nur damit das gesamte Spektakel zwei Stunden später von vorne losgeht. Grölende junge Männer, das „Deutschlandlied“, Sachbeschädigungen und Bedrohungen wie „hängt ihn an einen Baum“.
Versammlungen vor Privathäusern von Politiker*innen sind angsteinflößend.
Aber vor wem haben wir hier Angst? In diesem konkreten Fall - der viele Jahre zurückliegt - haben wir Angst vor Herrn Ansgar Schledde, heute stellvertretender Fraktionsvorsitzender der AfD-Fraktion in diesem Landtag, und Landesvorsitzender der AfD Niedersachsen.
Damals versammelte sich Ansgar Schledde mit Gleichgesinnten vor dem Haus eines ehrenamtlichen Kommunalpolitikers – und das nicht friedlich. Und das ist ein weiterer Grund warum ich den Gesetzentwurf der AfD scheinheilig finde. Wie glaubhaft ist jemand, der sich vor Jahren selber so verhalten hat und dann mit seiner Fraktion einen Gesetzesentwurf einbringt, der Politiker*innen vor Versammlungen an ihren Privatwohnungen schützen soll.
Ich komm zum Schluss: Ob solche Ansammlungen von Menschen vom Versammlungsrecht umfasst sind, oder bereits jetzt aufgelöst werden können, wird im Ausschuss zu erörtern sein.